Weg

Liebe Tochter, 

wenn ich mir das Wort „Tochter“ gedanklich laut vorspreche, passt der Laut nicht zu meinem Gefühl für dich, ist nicht weich, warm und golden. Ich schreibe trotzdem fortan „Tochter“, weil ich meine Gedanken angekündigt in einen Blog schreiben möchte. Mein kleines digitales Pendant zu deinem zukünftigen Blogeinträgen. Deswegen anonymisiert. Einen anderen Namen als Pseudonym kann ich dir auch nicht geben: das würde mein inneres Bild von dir verfälschen. Ich schreibe jetzt einfach das, was ich dir nicht mehr sagen kann, weil Du nicht mehr da bist (und wahrscheinlich damit auch den Abschied vom Elternhaus eingeläutet hast).  

Auch wenn du immer wieder für eine Zwischenphase zu Hause sein wirst, wird es immer nur zwischen freiwilligem Jahr und Studium zwischen altem und neuem Semester sein und was noch für Zwischenphase folgen werden.  

Es kommt mir so vor, als sei der Abschied für mich, für uns als ”Zurückgebliebene” größer als für dich: für dich startet ein Abenteuer, für uns setzt sich der Alltag fort. Du brichst auf ins Unbekannte. Wir bleiben im gewohnten Umfeld. Du wirst zu Beginn nicht einmal die Schrift lesen und das Gesprochene auf den Straßen nicht einmal ansatzweise verstehen können, während ich wir uns in dem Dreieck Arbeit-zu Hause-Arbeit bewegen werden. Ist ja nicht einmal ein Dreieck.  

Dein Abschied geht mit Wehmut einher. Wehmut von mir: schöne, aber vergangene Erinnerungen an ein kleines schon damals wagemutiges Mädchen, das mit anderthalb Jahren so lange die Wellenbewegungen am Strand beobachtete, bis es den Weg durch die flache Gischt, zum halb auf dem Strand halb im Wasser liegenden Tretboot schaffte. 

“Weh” und “Mut” das ist bestimmt nicht der Wortursprung, passt nichtsdestotrotz auch gut zu Dir: es erfordert “Mut”, den Schritt in ein gänzlich anderes Land zu wagen und wird auch mit “Weh” verbunden sein. Wenn vielleicht die Anfangseuphorie verschwunden ist, der Winter naht und Dich mit Sicherheit auch mal das HeimWeh treffen wird.